Wie Verhaltensweisen und angeeignete Denkmuster aus der Kindheit unser Erwachsenenleben beeinflussen, erklärt ein Interview mit Dr. Kurt Eissfeldt, Studienrat und Dozent für Erwachsenenbildung. Serpil Tümer Der Begriff „blinder Fleck“ stammt aus dem Bereich unserer Augen. Woran denken Sie, wenn Sie dieses Bild auf Gefühle und Verhaltensweisen übertragen | ? |
Ich denke an anerzogene und angeeignete Lebensmuster, unsere Existenz hängt davon ab, Beziehungen und Bindungen zu haben.
Grundsätzlich nicht. Es geht hier um früher erworbene Einstellungen, die uns in unserem jetzigen Leben hinderlich sind, also um destruktive Strukturen. Wenn wir „aus den Kinderschuhen herauswachsen“, nehmen wir viele Verhaltensweisen und Denkmuster in das Erwachsenenleben mit. Manchmal leiden wir unter diesen Einstellungen und wir bemerken, dass Probleme im Alltag entstehen. Oft sind es Freunde und Kollegen, die uns daraus aufmerksam machen.
Welche konkreten negativen Erscheinungen kann man beobachten | ? |
Es kann soweit gehen, dass wir uns schuldig oder als Versager fühlen. Wir fragen uns z.B. ob wir gute Eltern sind, weil wir an Denkmustern aus der Vergangenheit festhalten. Oder wir sind unglücklich, weil wir nicht rechtzeitig lernen konnten, unsere berechtigten eigenen Bedürfnisse und Wünsche wahrzunehmen und Grenzen zu setzen.
Welche Erscheinungen treten sonst noch auf | ? |
Wenn wir uns schlecht fühlen, suchen wir die Ursache oft außerhalb. Es kann sein, dass wir in einer „ungesunden“ Beziehung oder Umgebung stecken bleiben. Oft spielt auch eine Abhängigkeit eine große Rolle, dass kein Mensch alleine sein und bleiben möchte. Das sind die „blinden Flecken“, die wir alleine oft nicht wahrnehmen können.
Wenn wir aus eigener Kraft oder mit Hilfe anderer in der Lage sind, diese blinden Flecken“ zu durchleuchten, erfahren wir den wahren Grund für unser vermeintliches Scheitern. Jetzt erkennen wir, welche „Stolpersteine“ uns noch im Wege liegen. Wenn die Hindernisse beiseitegeschoben werden, haben wir die Wahl hinzuschauen und zu erkennen. Selbstreflektion und die Aufarbeitung können dann leichter geschehen. Wir können wahrnehmen, wie der weitere Weg aussehen könnte. Manchmal stellen wir fest, dass z.B. Freude und Fröhlichkeit uns fremd sind. Wenn wir das erkennen, haben wir eher eine Chance auf Besserung.
Manchen von uns ist es in der Kindheit beigebracht worden, dass es sich nicht gehört, seine Gefühle zu zeigen. Wie sieht die Wissenschaft das heute | ? |
Heute werden wir ermuntert, unsere Gefühle voll auszuleben – die guten und die schlechten. Wir dürfen zeigen, wenn wir stolz auf eine gute Leistung sind, allerdings ohne Überheblichkeit. Aber auch das Ausleben negativer Gefühle ist nötig, anstatt Negatives in uns „hineinzufressen“. Damit das gelingt, können wir unsere Fähigkeit stärken, „gesunde Aggression“ zuzulassen, ohne dass das Negative schädlich wirkt.
Wie steht es mit dem Umgang mit der Trauer, z.B. beim Tode eines lieben Menschen | ? |
Auch hier sollten wir uns keinen Zwang antun und „den Starken“ spielen wollen. Es hängt von der Situation und dem Menschen ab, wie intensiv und wie lange man trauert. Ein schematisches Urteil ist hier fehl am Platze. Menschen in südlichen Ländern reagieren in dieser Hinsicht unbefangener und natürlicher.
serpil-tuemer.de