
Das Nachlassgericht muss ermitteln!
Reichweite der Ermittlungspflicht im Erbscheinsverfahren
Eine im Jahr 1927 geborene Erblasserin ist 2013 verstorben. Die Erblasserin war geschieden und hatte eine Tochter. Die Verstorbene hatte in einem notariellen Testament aus dem Jahr 2010 ihre Tochter zu 2/3 als Erbin sowie zwei Enkel zu jeweils 1/6 zu nicht befreiten Vorerben eingesetzt. Weiter existieren zwei gleich lautende privatschriftliche Testamente der Erblasserin vom 22. Dezember 2012. Mit diesen beiden Testamenten hat die Erblasserin ihre Verfügung von Todes wegen aus dem Jahr 2010 widerrufen und ihre Tochter als Alleinerbin eingesetzt. Zugleich wurden zugunsten einer anderen Enkelin mehrere Vermächtnisse ausgesprochen. Die Tochter der Erblasserin beantragte beim Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins, der sie als Alleinerbin ausweisen sollte. Die in dem Testament aus dem Jahr 2010 als Miterben bedachten Enkel haben der Erteilung des Alleinerbscheins widersprochen. Sie behaupten, die Testamente vom 22. Dezember 2012 seien Fälschungen und würden nicht von der Erblasserin stammen. Weiter behaupten die beiden Enkel, dass die Erblasserin, selbst wenn die Testamente aus dem Jahr 2012 echt wären, an der wirksamen Abfassung eines Testamentes durch Testierunfähigkeit gehindert gewesen sei. Das Nachlassgericht hat daraufhin ein Schriftgutachten eines Sachverständigen eingeholt. Unter Berücksichtigung dieses Gutachtens gelangte das Nachlassgericht zu dem Ergebnis, dass die Testamente vom 22. Dezember 2012 von der Erblasserin stammen würden. Für eine Testierunfähigkeit der Erblasserin hat das Nachlassgericht keine hinreichenden Anhaltspunkte gesehen, da ein für die Erblasserin angelegtes Betreuungsverfahren nach Vorlage einer Vorsorgevollmacht eingestellt worden war. Demgemäß kündigte das Nachlassgericht in einem Beschluss an, dem Erbscheinsantrag der Tochter der Erblasserin entsprechen und damit den Alleinerbschein erteilen zu wollen. Die beiden betroffenen Enkel der Erblasserin haben gegen diesen Beschluss beim Oberlandesgericht Karlsruhe Beschwerde eingelegt. Sie sind weiterhin der Auffassung, bei den Testamenten vom 22. Dezember 2012 handele es sich um Fälschungen. Zugleich sei die Erblasserin testierunfähig gewesen. Das Oberlandesgericht Karlsruhe beschert der Beschwerde der beiden Enkel zumindest vorläufigen Erfolg. Das Gericht verwies die Angelegenheit an das Nachlassgericht zurück, weil das dortige Verfahren unter wesentlichen Mängeln leide. Zutreffend gelangte das Oberlandesgericht Karlsruhe zu dem Ergebnis, dass das Nachlassgericht seine Pflicht zur Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen in schwerwiegender Weise verletzt habe. Das Nachlassgericht habe im Erbscheinsverfahren unter Berücksichtigung der angegebenen Beweismittel von Amts wegen die zur Feststellung der Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen und die geeignet erscheinenden Beweise zu erheben. Vorliegend habe das Nachlassgericht weder zur Frage der Testamentsechtheit noch zum Einwand der Testierunfähigkeit hinreichende Ermittlungen angestellt. Dabei sei offensichtlich gewesen, dass die Echtheit der Testamente vom 22. Dezember 2012 näherer Überprüfung bedurft hätte. Denn die Namensunterschriften auf der Vorsorgevollmacht und den Testamenten vom 22. Dezember 2012 wichen deutlich erkennbar voneinander ab. Die Beteiligten seien daher dazu anzuhören, ob sie etwas über die Entstehung der streitigen Schriftstücke wissen. Es sei nicht nur von Bedeutung, ob die Erblasserin bei Abfassung der Testamente beobachtet wurde, sondern auch, ob diese gegebenenfalls gegenüber Dritten die beabsichtigte Änderung des Testaments aus dem Jahr 2010 erwähnt habe. Nachlassgericht muss sachgerechten Schriftvergleich sicherstellen Darüber hinaus monierte das Oberlandesgericht Karlsruhe, dass das Nachlassgericht für einen sachgerechten Schriftvergleich durch einen Sachverständigen sicherzustellen habe, dass diesem Sachverständigen Vergleichsmaterial zur Verfügung gestellt werde, von dem gesichert sei, dass es von der Person stamme, der das Testament zugeschrieben werde. Für das Verfahren sei es erforderlich, dass dem Sachverständigen nur solche Proben als Vergleichsmaterial vorgegeben werden, deren Authentizität gesichert sei.Insoweit sei es zunächst erforderlich, dass die Beteiligten vor der Vorlage an den Sachverständigen Gelegenheit zur Einsichtnahme in das Material und zur Stellungnahme erhalten. Zweifeln an der Echtheit des Vergleichsmaterials sei gegebenenfalls nachzugehen, indem Zeugen- oder Indizienbeweis zur Urheberschaft erhoben werde. Vergleichstexte, denen für eine Schriftuntersuchung besondere Bedeutung zukomme, seien möglichst im Original zu beschaffen. Das Gericht dürfte sich daher nicht einfach darauf beschränken, dem Sachverständigen bloße Ablichtungen vorzulegen. Frage der Testierfähigkeit ist aufzuklären Weiter gelangte das Oberlandesgericht Karlsruhe zu dem Ergebnis, dass das Nachlassgericht keine hinreichenden Ermittlungen über die Frage der Testierfähigkeit der Erblasserin angestellt habe, weil es nahe liegende Möglichkeiten zu weiteren Nachforschungen nicht genutzt habe, obwohl der Sachverhalt hierzu Anlass gegeben habe. So hatte einer der Beteiligten in dem Erbscheinsverfahren mitgeteilt, ihm habe sich im Jahr 2012 der Eindruck „aufgedrängt“, dass die Erblasserin seinerzeit nicht mehr testierfähig gewesen sei. Der häusliche Pflegedienst der Erblasserin hatte zudem kurz vor der Erstellung der streitigen Testamente eine Betreuung angeregt. Die behandelnde Hausärztin hatte nur zwei Tage vor der Erstellung der streitigen Testamente einen Verdacht auf eine beginnende Demenz und deutliche Gedächtnisstörungen geäußert. OLG Karlsruhe stärkt Rechte von Betroffenen Die Ausführungen des Oberlandesgerichts Karlsruhe sind äußerst begrüßenswert. Bestehen nämlich begründete Zweifel an der Echtheit eines Testaments und/oder an der Testierfähigkeit des Erblassers bietet das Erbscheinsverfahren sehr gute Möglichkeiten, diese Fragen gerichtlich klären zu lassen. Die Nachlassgerichte trifft eine umfassende Amtsermittlungspflicht. Die Reichweite dieser Amtsermittlungspflicht hat das Oberlandesgericht Karlsruhe in aller Deutlichkeit herausgearbeitet und dem Nachlassgericht, an welches die Angelegenheit vom Oberlandesgericht nun zurückverwiesen wurde, klare Hinweise für die weitere Beweisaufnahme erteilt. Das Oberlandesgericht stärkt damit die Rechte all derjenigen, die berechtigte Zweifel an Testamenten hegen, die leider oftmals auf wundersame Art und Weise kurze Zeit vor dem Ableben einer möglicherweise schon nicht mehr testierfähigen Person errichtet worden sein sollen. AUTOR DES BEITRAGS Rechtsanwalt Dr. jur. Sebastian Sonnenberg (Kanzlei Hillmann & Partner, Oldenburg), ist Fachanwalt für Erbrecht. Seine weiteren Tätigkeitsschwerpunkte sind das Versicherungs-, Vertrags- und Mietrecht.
Begünstige Tochter beantragt Alleinerbschein
Nachlassgericht nimmt Testamentsechtheit und Testierfähigkeit an
Beschwerde der beiden Enkel gegen Beschluss des Nachlassgerichts
OLG Karlsruhe weist Angelegenheit an das Nachlassgericht zurück