Wieviel Bäume sind ein Wald?
Kündigung eines Arbeitsverhältnisses wegen vieler Einzelverstöße
Der Arbeitnehmer ist als Referent bei dem Arbeitgeber, einem Servicedienstleistungsunternehmen, beschäftigt. Es war eine Vergütung von ca. 88.000 Euro@ im Jahr und eine Vertrauensarbeitszeit ohne feste Arbeitszeiten vereinbart. Nach den Regelungen des Arbeitsvertrages waren Nebentätigkeiten verboten. Im Mai 2016 gründete der Arbeitnehmer eine GmbH zur Immobilienberatung. Diese Nebentätigkeit zeigte er dem Arbeitgeber im Juni 2016 an. Ein Meeting mit seiner Teamleiterin am 09.08.2016 sagte er eine Minute vor Beginn wegen Erkrankung ab. Die anschließende Zuweisung einer Tätigkeit in einem anderen Bereich lehnte er als nicht vertragsgemäß ab. Zudem warf der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer mehrere Verschwiegenheitsverstöße vor. Wegen verspäteter Krankmeldung und wegen einer Nebentätigkeit ohne Nebentätigkeitsgenehmigung sprach der Arbeitgeber zwei Abmahnungen aus. Im November 2016 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis fristlos. Das Arbeitsgericht gab der Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers statt mit der Begründung, es fehle für eine verhaltensbedingte Kündigung an einschlägigen Abmahnungen. Die Abmahnung hinsichtlich der Nebentätigkeit sei rechtswidrig, weil der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Genehmigung hatte. Die Abmahnung wegen verspäteter Anzeige der Arbeitsunfähigkeit sei zwar wirksam, es habe jedoch anschließend keine weitere einschlägige Pflichtverletzung gegeben. Gegen das Urteil d es Arbeitsgerichts hat der Arbeitgeber Berufung mit der Begründung eingelegt, das Arbeitsgericht habe die einzelnen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers jeweils lediglich einer Einzelbetrachtung unterzogen. Unzutreffend habe es keine Gesamtschau vorgenommen. Tatsächlich sei es so, dass sich die Pflichtverletzungen zu einer beharrlichen Arbeitsverweigerung summieren würden. Die andauernden Pflichtverletzungen, die er begangen habe, kämen einer Arbeitsverweigerung gleich. Dies alles mache die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer unzumutbar. Das LAG hat mit Urteil vom 06.09.2018 die Berufung zurückgewiesen mit der Begründung, die Kündigung sei sowohl als fristlose Kündigung mangels wichtigen Grundes, als auch als ordentliche Kündigung mangels sozialer Rechtfertigung unverhältnismäßig. Bei vielen Einzelverstößen, die jeweils alleine eine Kündigung nicht rechtfertigen können, summiere sich ohne Abmahnung kein Gesamtverstoß von so erheblichem Ausmaß, dass eine Abmahnung entbehrlich werden könne. Die Dokumentationsfunktion der Abmahnung habe gerade zum Gegenstand, dem Arbeitnehmer zu signalisieren, dass es so wie bisher nicht weitergehen könne. Komme aber dieses Signal vom Arbeitgeber nicht, könnte dem Arbeitnehmer nicht vorgeworfen werden, er hätte bei dem Pflichtverstoß Nr. 1 + X wissen müssen, dass nunmehr auch ohne vorherige Abmahnung arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zu Kündigung drohen. Das LAG hat sich bei der Begründung seiner Entscheidung auf die Dokumentationsfunktion der Abmahnung bezogen. Darüber hinaus hat eine Abmahnung auch eine Warnfunktion. Ähnlich der „gelben Karte“ beim Fußball soll dem Arbeitnehmer, der einen Pflichtverstoß begangen hat, verdeutlicht werden, dass er bei einem weiteren (einschlägigen) Pflichtverstoß mit rechtlichen Konsequenzen für sein Arbeitsverhältnis bis hin zu Kündigung rechnen muss. Wenn also ein Arbeitgeber einen Pflichtverstoß des Arbeitnehmers für gravierend hält, sollte eine Abmahnung ausgesprochen werden. Ein Arbeitnehmer, der eine Abmahnung erhält, sollte diese als entsprechende Warnung auffassen. Bei Zweifeln hinsichtlich der Berechtigung einer Abmahnung sollte ein erfahrener Fachanwalt für Arbeitsrecht hinzugezogen werden.