Wenn die Seele um Hilfe ruft
Niedrige Reizschwelle bei Hochsensibilität führt eher zur Überlastung
Hochsensibilität ist eine angeborene Eigenschaft, vergleichbar mit einer Begabung. Sie hat zwei Seiten, die positive: Menschen empfinden mehr. Aber gerade dies kann sich auch als negative Seite zeigen, als Reizüberflutung. Aber auch die negative Seite einer Hochsensibilität ist keine Erkrankung. Wenn sie aber an der Entwicklung psychischer Störungen ursächlich beteiligt ist, sind diese Menschen oft schwieriger zu therapieren. Häufig leiden hochsensible Menschen unter vielfältigen Beschwerden, ihre Reizschwelle für Stressimpulse ist niedriger, sie sind für stressbedingte Störungen und Krankheiten anfälliger und deswegen häufiger in ärztlicher Behandlung. Sind keine körperlichen Ursachen erkennbar, werden die Beschwerden oft als weniger gravierend eingestuft und z.B. mit psychosomatischer Störung, Depression, Anpassungsstörung und bei jüngeren Menschen auch mit ADHS umschrieben. Oft werden die Betroffenen als Hypochonder oder psychisch labil angesehen. Eine Hochsensibilität kann man sich vielleicht am besten so vorstellen: Alle Menschen haben Filter, die sie vor allzu vielen Reizen abschirmen. Diese Filter sorgen dafür, dass nur die stärkeren Reize dem Gehirn zugeführt werden, es findet eine Selektion statt und neuronale wie psychische Systeme werden abgeschirmt und damit vor Überforderung geschützt. Bei hochsensiblen Menschen wirken diese Filter anders, es werden mehr Reize zur Verarbeitung im Gehirn zugelassen. Dies kann schnell zu Überlastungen führen. Diese Überlastungen können den Boden bilden für psychische Störungen, die schwierig zu behandeln sind, da sie durch die Hochsensibilität immer wieder neu genährt werden. Gleichzeitig erfüllen sie nicht immer die Kriterien für eine psychische Erkrankung. Psychische Störungen hochsensibler Menschen sollten immer auch als Folge einer möglichen Reizüberflutung gesehen und entsprechend behandelt werden. In einer adäquaten psychotherapeutischen Behandlung kann der Patient bereits nach ersten Gesprächen eigene Aspekte von Hochsensibilität entdecken. Dadurch kann er sein Anderssein, sein von anderen Menschen abweichendes Empfinden und Verhalten besser verstehen. Allein diese Erkenntnis kann bereits zu einer Verringerung psychischer Symptome führen. Wird dieses neu gewonnene Verständnis für das eigene Ich-Sein vertieft, können Lernprozesse eingeleitet werden, die zu einer weiteren Symptomverringerung führen. Beim Patienten entwickelt sich auch mehr Verständnis für häufiger auftretende Überlastungssituationen und es können Strategien entwickelt werden, diese zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. Daneben haben sich individuell angepasste Meditations- und Entspannungsverfahren als Basistherapie gut bewährt. Die dann möglicherweise noch verbleibenden psychischen Störungen sind in der Regel gut mit Standardtherapien behandelbar. Je besser ein Hochsensibler lernt, seine Hochsensibilität zu verstehen und mit ihr umzugehen, desto mehr kann er sie auch in sein Leben integrieren – mit ihren positiven Seiten, aber auch mit den negativen Seiten einer psychischen Störung, die dann aber gut behandelbar ist.
Wir alle wissen, dass es sensiblere und weniger sensible Menschen gibt. Bestehen diese Eigenschaften seit frühester Kindheit, beruht dies meist auf einer genetischen Disposition. Etwa 15 bis 20 Prozent aller Menschen werden als hochsensibel bezeichnet. Allein in Deutschland gibt es danach etwa 15 Millionen Betroffene, von denen die meisten nicht wissen, dass sie hochsensibel sind. Sie wissen lediglich, dass sie anders „ticken“ als andere.