Mit der Blutgerinnung verfügt unser Körper über eine ausgeklügelte Methode, um Blutungen zu stoppen und einen übermäßigen Blutverlust zu vermeiden. Bei rund 800 000 Menschen in Deutschland ist diese im Ernstfall lebensrettende Körperfunktion gestört. Sie leiden unter dem so genannten von-Willebrand-Syndrom. Durch den Defekt oder das Fehlen eines Proteins dauern Blutungen bei ihnen länger an oder fallen ungewöhnlich stark aus. Im Alltag wird diese Störung schnell übersehen, bei größeren Verletzungen oder Operationen kann es bei einem nicht behandelten vWS jedoch zu Komplikationen kommen. Woran man ein vWS erkennt, wie es behandelt wird und was es für Alltag, Freizeit und Beruf bedeutet, dazu informierten Expertinnen am Lesertelefon. Hier die wichtigsten Fragen und Antworten zum Nachlesen:
Woran erkenne ich, ob eine Blutung zu lange andauert oder ungewöhnlich stark ist | ? |
Dr. Christine Heller: Zum Beispiel, wenn Sie trotz intensiver Maßnahmen zur Stillung nicht zu stoppen ist, also etwa durch konsequentes Abdrücken der Nase über mehrere Minuten oder Anlegen eines Druckverbands.
Wann gilt eine Regelblutung als so stark, dass man an eine Gerinnungsstörung denken sollte | ? |
Dr. Cornelia Wermes: Das lässt sich anhand des so genannten PBAC-Score ermitteln: Die Patientinnen dokumentieren an jedem Tag ihrer Periode den Verbrauch an Binden oder Tampons – und das während einer gesamten Monatsblutung. Je höher der Verbrauch und je stärker eine Binde oder ein Tampon durchblutet ist, desto höher ist die Punktzahl. Die Punkte werden am Ende der Periode addiert und der Arzt kann objektiv abschätzen, ob die Blutung tatsächlich zu stark war oder ob sie zu lange andauerte.
An wen wende ich mich, um Klarheit zu bekommen, ob ein vWS vorliegt | ? |
Dr. Christine Heller: Der erste Weg sollte immer zum Hausarzt oder Kinderarzt führen. Dieser wird dann bei Bedarf eine Überweisung zu einem Spezialisten für Blutgerinnungsstörungen ausstellen.
Ist ein von-Willebrand-Syndrom heilbar | ? |
Dr. Christine Heller: Das von-Willebrand-Syndrom ist eine angeborene Blutgerinnungsstörung und nicht heilbar – wohl aber gut behandelbar. In sehr seltenen Fällen kann ein erworbenes vWS vorliegen, zum Beispiel durch kombinierte Herzfehler, so dass nach Behandlung oder operativer Versorgung der Ursachen eine Normalisierung der Befunde möglich ist.
Dr. Cornelia Wermes: Ein wesentlich an der Blutstillung beteiligtes Protein ist bei Menschen mit vWS entweder in zu geringer Konzentration vorhanden, ist fehlerhaft ausgebildet oder fehlt völlig. Dabei handelt es sich um eine erbliche Gerinnungsstörung, weshalb die Familienanamnese eine wichtige Rolle bei der Diagnose spielt.
Wie sieht die Behandlung eines vWS aus | ? |
Dr. Christine Heller: Die Therapie richtet sich nach der individuellen Ausprägung der Beschwerden und der Situation des Patienten sowie nach dem vorliegenden vWS-Typ. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit, die Menge des körpereigenen von-Willebrand-Eiweiß im Blut zu erhöhen. Mithilfe des antidiuretischen Hormons Vasopressin (Desmopressin) wird die Ausschüttung des von-Willebrand-Eiweißes aus den körpereigenen Speichern angeregt. Eine andere Therapiemöglichkeit ist das Zuführen des fehlenden von-Willebrand-Faktors von außen durch Faktorpräparate. In beiden Fällen erfolgt die Therapie über eine periphere Venenpunktion. Zusätzlich kann ein so genanntes Antifibrinolytikum oral als unterstützende Zusatzbehandlung eingesetzt werden.
Wie erfahren Rettungskräfte bei einem Unfall von meinem vWS | ? |
Dr. Cornelia Wermes: Idealerweise tragen Menschen mit einem vWS jederzeit einen Notfallausweis mit sich, der zum Beispiel beim „Netzwerk vWS“ kostenlos bestellt werden kann.
P @ www.netzwerk-von-willebrand.de