Zappel-Philipp und Hanns Guck-in-die-Luft
Ein Stress-Test – Praktische Anregungen zum Alltag mit ADHS und ADS
ADHS/ADS kann zu massiven Problemen in Schule, Ausbildung, im Studium und Beruf führen. Neben der Schwierigkeit mit der Aufmerksamkeit gehören z.B. Impulsivität, extreme Unruhe, Gereiztheit, Wutanfälle, hohe Ablenkbarkeit, Schusseligkeit, wenig Durchhaltevermögen, chaotische Ordnung, Lese-Rechtschreib-Schwächen, fehlende Motivation, Aufgabenvermeidung und geringes Selbstbewusstsein zu den zentralen Symptomen. Unerkannt kann ADHS/ADS zu Zwängen, Sucht, Angsterkrankungen und Depressionen führen (Folgeerkrankungen). ADHS/ADS ist nicht das Ergebnis falscher Erziehung und keine Charakterschwäche. Menschen mit ADHS/ADS fallen oft durch besondere Qualitäten und Eigenschaften auf. Viele sind sehr einfallsreich, begeisterungsfähig und künstlerisch begabt. Eine Schwierigkeit der Diagnose ist, die Auffälligkeiten von altersbedingten, z.B. pubertären, Besonderheiten abzugrenzen. Nicht jedes energiegeladene Kind hat ADHS, nicht jedes verträumte Kind hat ADS. Mitunter wird ADHS/ADS bereits vor der Einschulung diagnostiziert. Meistens jedoch fallen die Aufmerksamkeitsdefizite erst in der Schule auf. Wird ADHS/ADS bei Erwachsenen festgestellt, so ist für sie die Diagnose oft eine Erleichterung. Denn nun verstehen sie ihre jahrelangen Probleme mit der Organisation und Umsetzung von Aufgaben. Die Diagnose ADHS/ADS wird heftig diskutiert. Eine Frage ist, ob es ADHS/ADS überhaupt gibt oder ob die Diagnose eine Erfindung, z.B. der Pharmaindustrie, ist. Ein kurzer Blick in die Geschichte zeigt, dass es sich nicht um eine Mode-Diagnose handelt. Bereits 1844 beschrieb Heinrich Hoffmann, der Autor des „Struwwelpeters“, in seiner Geschichte des „Zappel-Phillipps“ einen hyperaktiven Jungen (ADHS). Der „Hanns Guck-in-die-Luft“ dagegen verbringt den ganzen Tag mit Träumereien (ADS). Auch über die möglichen Ursachen von ADHS/ADS gibt es Debatten. Ursachen werden z.B. in der Reizüberflutung durch Medien, dem Leistungsdruck, der Bewegungsarmut, den Umweltbelastungen, der Ernährung oder im Betroffenen selbst gesehen. Die Wissenschaft forscht hierzu weiter. Der größte Glaubenskrieg dreht sich um die Behandlung von ADHS/ADS. Diskutiert wird, ob Kinder und Jugendliche Medikamente einnehmen sollen, die Einfluss auf Botenstoffe im Gehirn nehmen und unter das Betäubungsmittelgesetz fallen (z.B. Ritalin, Concerta). Absolut notwendig sind darum die ausführliche Diagnose und Beratung durch Haus- und Fachärzte; möglicherweise auch in Blick auf (zunächst) naturheilkundliche Medikationen. Die Noten von Tim (15) verschlechtern sich ständig. Dabei ist er sehr intelligent. Die Eltern fragen hin und wieder, ob er seine Hausaufgaben macht. Sie wollen nicht „überreagieren“ und betrachten Tims schlechte Noten sowie seine Mürrischkeit als „normales pubertäres Verhalten“. Ihre Sicht ändert sich beim Elternsprechtag. Sie erfahren, dass Tim in der Schule überhaupt kein Interesse zeige, ständig aus dem Fenster schaue und extrem gereizt reagiere. Die Versetzung sei gefährdet, Freunde scheine Tim auch nicht zu haben. Die Eltern gehen mit dem Gefühl nach Hause, in der Erziehung versagt zu haben und machen sich Vorwürfe. Das Leben mit ADHS/ADS ist anstrengend; sowohl für die Betroffenen als auch für die Angehörigen und Bezugspersonen. Ein „normaler“ Alltag scheint kaum möglich. Es gibt jedoch Strategien zur Verbesserung der Lebensqualität und der seelischen Grundbefindlichkeit. Absolut notwendig erscheinen: Klare Abläufe und Strukturen im Tagesablauf Aktivitäten mit Gleichaltrigen, viel Sport und Bewegung Aufgeräumter Schreibtisch, geordnete Hefte, regelmäßige Lernzeiten und Pausen Viel Lob für kleine Erfolge und gewünschtes Verhalten Entspannung im Alltag, z.B. durch Autogenes Training. Neben der medizinischen Diagnose ist es hilfreich, sich für die Bewältigung des Alltags Unterstützung zu suchen. Professionelle Beratung kann helfen, ADHS/ADS zu verstehen und Teufelskreise zu durchbrechen. Im Gespräch können Veränderungsmöglichkeiten gefunden und ausprobiert werden. Der neutrale Blick von außen betrachtet das gesamte Familiensystem. Bei all den Mühen um den ADHS/ADS-Betroffenen sollte die restliche Familie nicht zu kurz kommen. Denn Geschwister werden schnell eifersüchtig und Eltern benötigen Auszeiten. Individuelle, auf die konkrete Situation abgestimmte Beratung kann Veränderungsprozesse anstoßen und begleiten, um Balance und Entlastung im ADHS/ADS-Alltag zu finden.
Diagnosestellung
aus der Praxis
Bereits als Kleinkind war Mia (8) impulsiv. Manchmal reagierte sie handgreiflich, wenn sie ihren Willen durchsetzen wollte. Nun, in der 3. Schulklasse, bringt ihr dies zunehmend Ärger ein. Statt still zu sitzen rennt sie plötzlich im Klassenraum herum, stupst andere Kinder, nimmt ihnen Stifte weg, schreit und lässt sich durch Lehrkräfte kaum beruhigen. Zu Hause gibt es jeden Tag Kämpfe, wenn es um die Hausaufgaben geht. Mia kann sich nicht konzentrieren. Oft weiß sie nicht, was sie lernen soll. Denn ihr Hausaufgabenheft hat sie in der Schule vergessen.
mit ADHS/ADS