Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord
Sichtlich für Erstaunen hat gesorgt, dass auch 70 Jahre nach Kriegsende ein Schwurgerichtsprozess in der Tatsacheninstanz abgeschlossen werden konnte, der Kriegsverbrechen im Konzentrations- bzw. Vernichtungslager Auschwitz zum Gegenstand hatte. Die deutsche Justiz hat sich mit der juristischen Aufarbeitung der Naziverbrechen seit jeher sehr schwer getan. Jahrzehnte dauerte es, bis in den sechziger Jahren der größere Auschwitz-Prozess durch die Beharrlichkeit des damaligen hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer Gestalt annahm. Was bedeutet dies aber für den konkreten Fall in Lüneburg? Wie steht es bei Oskar Gröning, der in Auschwitz an der Rampe das Gepäck nach Wertsachen durchwühlte, an sich nahm und in Listen eintrug? Der Autor: Alexander Mühlbauer LL.M. ist Rechtsanwalt und Notar in Oldenburg und zugleich auch Fachanwalt für Informationstechnologierecht und Fachanwalt für Strafrecht in eigener Kanzlei mit zivil- und strafrechtlicher Ausrichtung.
Der Umfang eines solchen Verfahrens, die Vielzahl an Zeugen und nicht zuletzt der gesundheitliche Zustand des 94-jährigen Angeklagten ließen einen solchen Abschluss nicht als sicher gelten. Gleichwohl hat das Landgericht Lüneburg am vergangenen Mittwoch sein Urteil gesprochen (Urteil vom 15.7.2015 – Az. 27 Ks 9/14 -). Es sprach den früheren SS-Mann wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen schuldig. Auf vier Jahre lautet die ausgeurteilte Strafe.
Lange galt in der juristischen Einschätzung der Verbrechen im Krieg und in den Vernichtungslagern des Holocaust die Maxime, dass alles nur auf höheren Befehl begangen worden sei. Diese Verteidigung genügte oftmals. Nichts schien einfacher, als die Verantwortung auf übergeordnete Ränge und Befehlstrukturen abzuwälzen.
In Lüneburg ging es – wie immer neben der moralischen Verantwortlichkeit – um die juristische Frage, wann Beihilfe anfängt, wann sie aufhört. Während der Täter oder Mittäter immer einen ursächlichen Beitrag zum Erfolg setzen muss, bei einem Tötungsdelikt also „seinen“ Anteil zur Ausführung der Tat beisteuert, unterliegt die Beihilfe einem anderen Maßstab.
Einfach und in einem anderen Kontext ausgedrückt: Der Gehilfe beim Bankraub muss weder eine Waffe zücken noch das herausverlangte Geld einstecken; bei ihm genügt es, wenn er nur irgendeinen Akt zur Tat beisteuert, und sei es – um in diesem Bild zu bleiben – wenn er beim Bankraub „Schmiere“ steht. Er muss also kein Tatbestandsmerkmal – hier des Raubes – selbst erfüllen.
Auch hier ist dieses Handeln nach Ansicht des Landgerichts Lüneburg ein Tatbeitrag; auch hier machte sich der Angeklagte zum Gehilfen der Tat. Kurzum: auch wenn das Rädchen noch so klein war, es ist und bleibt ein Teil des Gesamtgeschehens. Der Einwand, die Ermordung der Deportierten nicht eigenständig gefördert zu haben, fand hier bei der Schwurgerichtskammer kein Gehör. Letztendlich wird jedoch der Bundesgerichtshof dazu urteilen, wenn Anwalt und / oder Staatsanwalt in Revision gehen.