
Der Grundsatz „In dubio pro reo“
Mit anderen Worten: Der Grundsatz ist verletzt, wenn das Gericht verurteilt, obwohl es zweifelt, nicht aber, wenn eine Verurteilung erfolgt, obwohl das Gericht hätte zweifeln müssen. In der Praxis hat der Zweifelssatz durchaus seine Bedeutung: Kommt es beispielsweise bei der Rückrechnung des nach einer Tat durch Blutprobe festgestellten Alkoholgehalts für die Beurteilung der Schuldfähigkeit auf die zu Gunsten des Angeklagten nicht ausschließbare höchstmögliche Alkoholisierung an, muss der Rückrechnung der höchstmögliche Abbauwert zugrunde gelegt werden. Geht es allerdings um die Fahrtauglichkeit eines Angeklagten, so hat das Gericht von der günstigsten, also mindestmöglichen Alkoholisierung zum Zeitpunkt der Fahrt auszugehen, weshalb in diesem Fall mit dem mindestmöglichen Abbauwert zurückgerechnet werden muss. In Fällen, in denen mehrere Tatvarianten möglich sind, wird nach dem Grundsatz „In dubio pro reo“ nur nach dem milderen Gesetz verurteilt. Die Klassiker sind hierbei: Wurde ein Mordmerkmal erfüllt oder liegt doch „nur“ Totschlag vor, hat der Täter einen Diebstahl begangen oder erfolgte die Wegnahme mit Gewalt – und handelt es sich demnach um Raub? Ebenfalls zur Anwendung kommt der Grundsatz bei der Frage der Verjährung, wenn der Zeitpunkt der Begehung der Tat nicht sicher festgestellt werden kann oder auch, wenn nicht auszuschließen ist, dass der Angeklagte wegen derselben Tat schon einmal bestraft worden ist. Ebenfalls im Zweifel für den Angeklagten ist zu entscheiden, wenn das Gericht Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten hat. Dann darf die Hauptverhandlung nicht durchgeführt werden. Es gilt also, dass immer dann, wenn nicht geklärt werden kann, ob ein Verfahrenshindernis vorliegt, sich das zu Gunsten des Angeklagten auswirkt. Allerdings bedeutet der Zweifelssatz nicht, dass das Gericht von der für den Angeklagten günstigsten Variante ausgehen muss, wenn hierfür keine ausreichenden Anhaltspunkte bestehen. In der Praxis enden dementsprechend nur ca. drei Prozent aller angeklagten und eröffneten Verfahren mit einem Freispruch.