
Kiefergelenke und Achtsamkeit
Mit einem speziellen Training lassen sich Beschwerden des Kiefers beheben
In zunehmendem Maße haben wir es in den Zahnarzt-Praxen mit Patienten zu tun, die über Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Schwindel, Kiefergelenkbeschwerden und nächtliches Zähneknirschen klagen. In vielen Fällen können die Beschwerden mit Hilfe einer Schiene gut therapiert werden. Bei manchen ist eine aufwendige Behandlung mit begleitender Physiotherapie, Kieferorthopädie bis hin zu Veränderungen der Bisslage des Unterkiefers nötig. Bei allem ist es aber notwendig, sich über das tägliche (und nächtliche) Verhalten klar zu werden. Denn in vielen Fällen ist Stress der Auslöser der Schmerzen. Wir beißen buchstäblich „die Zähne zusammen“, haben „viel zu schultern“ und etwas „sitzt uns im Nacken“. Stress – mit dieser Vokabel, die emotionale, psychische und körperliche Belastungen umfasst – beschreiben wir einen Ausnahmezustand für Körper und Geist, der uns mitunter zu kurzzeitigen Höchstleistungen anspornt, oft genug aber zum Dauerzustand wird. Krankheiten, die in Zusammenhang mit chronischem Stress stehen, nehmen zu: Zähneknirschen, Verspannungen im Nacken, Rückenbeschwerden, Herz-Kreislauf-Probleme, Magenbeschwerden, psychische Erkrankungen bis zu schweren Depressionen. Krankschreibungen wegen psychischer Erkrankungen nehmen seit einigen Jahren deutlich zu, im vergangenen Jahr lag die Rate bei 16 Prozent. (Quelle DAK) Oft genug wird die Belastung schon als Normalzustand angesehen. Und tatsächlich können wir dem Stress häufig nicht entgehen. Der Beruf fordert uns, die Leistungsanforderung steigt, Laptop und Handy sind immer in Betrieb, die Familie will auch zu ihrem Recht kommen, Freizeit muss geplant werden. Leider ist unser Gehirn, was die Verarbeitung von Stress betrifft, immer noch im Urzeit-Modus „Fight or Flight“ – Kampf oder Flucht. Was dem Neandertaler beim Überleben in einer Welt voller Bedrohungen geholfen hat – blitzschnelles Abwägen, ob ein Kampf lohnend ist – oder eben die Entscheidung zur Flucht – ist uns heute nicht möglich. Wir kämpfen nicht mehr gegen Mammuts und Säbelzahntiger, sondern stecken in Situationen, denen wir nicht entfliehen können. Oft auch nicht wollen. Doch wie fahren wir den Stresspegel runter oder besser noch: lassen ihn gar nicht erst ansteigen, bevor der Körper mit Symptomen reagiert? Im Allgemeinen können wir dem Stress nicht entgehen – aber wir können lernen, anders damit umzugehen. So gehört zu meinem Netzwerk auch eine Trainerin für Stressbewältigung nach der von Jon Kabat-Zinn entwickelten Methode MBSR – Mindfulness-based Stress Reduction. (dt.: Achtsamkeitstraining) Das Programm wurde Ende der 70er-Jahre an der Universitätsklinik in Massachusetts entwickelt und wird seit etwa 15 Jahren in Deutschland unterrichtet. Das Kursprogramm ist ein weltanschaulich neutrales Übungsprogramm, dessen positive Wirkung in zahlreichen klinischen Studien nachgewiesen ist. Im MBSR-Kurs trainieren die Teilnehmer ihre Aufmerksamkeit auf den aktuellen Moment zu richten, sich gut im Körper zu verankern und sie lernen, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Meditationen und sanfte Körperübungen sind Hauptbestandteil des Programms. Termindruck, Familienprobleme, nervende Nachbarn und vieles mehr – man kann lernen, die Dinge so sein zu lassen wie sie sind, ohne sich von ihnen beeinflussen zu lassen. Und dann kann man aus dieser Position heraus sehr viel gelassener und freier seine Entscheidungen treffen. Ohne die Zähne zusammenzubeißen! Achtsamkeit – so der deutsche Begriff für Mindfulness – hilft uns in Zeiten großer emotionaler, psychischer und physischer Herausforderungen den Kontakt zu uns selbst zu behalten und mit deutlich geringerer Anspannung Schwierigkeiten zu meistern. So können wir gelassen bleiben oder schnell wieder in den Zustand der Ruhe kommen. Ein neuer Biss ist das eine – die entspannte Lage der Kiefer zueinander behalten – das kann mit Achtsamkeit / MBSR sehr viel leichter gelingen.
Die Psyche im Blick
Mit Achtsamkeit reagieren
Für mehr Gelassenheit
Schwierigkeiten besser meistern