Stille Entzündungen durch Stress
Wenn die mikrobielle Welt aus dem Gleichgewicht gerät
Wir Menschen haben uns seit den knapp 300.000 Jahren unseres ersten Auftretens hier auf der Erde in eine Umwelt hinein entwickelt, die seit über 3,5 Milliarden Jahren von Bakterien geprägt ist. Entwicklungsbiologisch gesehen haben wir Menschen »gut daran getan«, uns gemeinsam mit den Bakterien zu entwickeln und uns die herausragenden Eigenschaften dieser kleinen Lebewesen zu Nutze zu machen. Ihren Platz finden die Bakterien auf unserer Haut, in unseren Lungen, aber vor allem in unserem Darm. Wenn wir den Weg unserer Nahrung im Körper verfolgen, lassen sich ganz erstaunliche Zahlen messen: im sauren Mageninneren befinden sich gerade mal 10 Bakterien pro Gramm Speisebrei. Diese Zahl erhöht sich am Eingang des Dünndarms bereits auf 1.000 Bakterien pro Gramm. Am Ende des fünf Meter langen Dünndarms lassen sich 10.000.000 Bakterien pro Gramm nachweisen. Wahrhaft explosionsartig vermehren sich die Bakterien im nachfolgenden Dickdarm. Hier lässt sich die unglaubliche Zahl von 1.000.000.000.000 Mikroorganismen pro Gramm messen. Im gesamten Dickdarm entspricht das einem Gewicht von gut 1,5 kg. Der Nutzen dieses mikrobiellen »Organs« (auch Mikrobiota oder Mikrobiom genannt) darf keinesfalls unterschätzt werden. Während der Mensch selbst etwa 22.000 eigene Gene besitzt, kommen durch das bakterielle Mikrobiom etwa weitere 8 Millionen Gene hinzu, die lebenswichtige Stoffwechselleistungen im menschlichen Körper vollbringen. Dabei ist die innerste Zellschicht des Darms gezwungen, die Bakterien und Giftstoffe innerhalb des Darms zu belassen und nur die verwertbaren Nährstoffe ins Blut zu schleusen. Um das zu gewährleisten, müssen die inneren Zellen des Darms engstens aneinander liegen und »kleben« mit bestimmten Proteinen aneinander (engl. »tight junction«). Unter Stress gehen vom Gehirn Signale aus, die im Körper die Produktion von aktivierenden Stresshormonen anregen. Mit einer gewissen Verzögerung werden Botenstoffe im Gehirn gebildet, die die Stress-Reaktion wieder abdämpfen sollen. Einer dieser Botenstoffe ist der Corticotropin Releasing Factor (CRF) . Dieses CRF gelangt aber auch in weite Teile des Körpers – und in die Schleimhaut des Darms. Im Darm dockt das CRF an bestimmte, für unser Immunsystem wichtige, Zellen an. Wenn diese durch das CRF aktiviert werden, setzen sie Substanzen frei, die zu Entzündungsreaktionen im Körper führen. Wird der Stress zu einer dauerhaften Belastung, schädigen diese entzündlichen Reaktionen auch die sehr engen Verbindungen zwischen den Darmzellen. Dadurch wird diese Zellschicht unkontrolliert durchlässig für Stoffe aus dem Darminneren. Die gesunde Darmbarriere ist dann meist recht großflächig aufgehoben (engl. »leaky gut«). Außerdem können Stress und die unter Stress produzierten Botenstoffe die Zusammensetzung des Mikrobioms im Darm ungünstig beeinflussen, so dass die negativen Auswirkungen der porösen Darmwand weiter verstärkt werden. Die Menge der eintretenden Giftstoffe ist insgesamt jedoch so gering, dass die Schwelle zum Auslösen der entzündungshemmenden Gegenreaktion nicht erreicht wird. Ein Mensch mit einer geschädigten und somit durchlässigen Darmgrenzfläche kann auf diese Weise dauerhaft unter einer sogenannten stillen Entzündung (engl. »silent inflammation«) leiden. Die stillen Entzündungen werden inzwischen für eine große Reihe unserer sogenannten Zivilisationskrankheiten als mögliche Ursache angesehen: Verschiedene Spezialisten können bei diesem komplexen Geschehen zum Wohle des Patienten gut zusammenarbeiten. Es geht vor allem und vordringlich darum, das Stressmanagement des Patienten zu verbessern. Seelischer Stress durch belastende Lebensereignisse kann gemeinsam mit einem Psychotherapeuten oder einem Heilpraktiker für Psychotherapie bearbeitet werden. Es helfen hier meditative Übungen, progressive Muskelentspannung nach Jacobson kombiniert mit einer mäßigen, sportlichen Betätigung. Alle diese Entspannungsverfahren wirken sich positiv regulierend auf die gesunde Verteilung der Stresshormone im Körper aus. Zeitgleich können Ärzte oder Heilpraktiker mit einem Schwerpunkt für Naturheilverfahren mit Hilfe von Pre- und Probiotika die Darmmikrobiota sinnvoll aufbauen und die natürliche Darmbarriere wieder herstellen. Eine nachhaltige Ernährungsberatung sorgt dafür, dass dauerhaft auf eine günstige Ernährung umgestellt wird. Der Autor ist Mitglied im Arbeitskreis für Mikrobiologische Therapie e.V. und beantwortet gerne weitere Fragen.
- Neurologische Erkrankungen: Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson, Myalgische Enzephalomyelitis (Chronische
- Immunologische Erkrankungen: Allergisches Asthma bronchiale, Lebensmittelallergien, Neurodermitis
- Chronisch entzündliche Erkrankungen: Chronisch obstruktive Lungenerkrankung, Chronisch entzündliche Darmerkrankungen, Psoriasis, Lymphadenopathien
- Maligne Erkrankungen: Krebs- und Tumorerkrankungen
- Muskuloskelettale Erkrankungen: Rheumatoide Arthritis, Fibromyalgie, Osteoarthritis
- Stoffwechselerkrankungen: Typ II-Diabetes, Übergewicht, nicht-alkoholische Fettleber, metabolisches Syndrom, Hypercholesterinämie
- Cardiovasculäre Erkrankungen: Arteriosklerose, Hypertonie, vasculäre Demenz, Apoplexie, Coronare Herzerkrankung.