Wenn Notfälle zu spät erkannt werden
Haftung des Krankenhauses – Schon um 4 Uhr früh hätte man reagieren müssen
Einen ganz besonderen Fall hatte das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg vor kaum drei Wochen zu entscheiden, indem es um die Frage ging, ob ein Krankenhaus einem jungen Patienten wegen der zu spät erkannten Hirnhautentzündung zu Schadensersatz verpflichtet ist. Das erkrankte Kind war an einem sonnigen Maitag im Jahre 2011 mit Schüttelfrost und Fieber stationär in einem Krankenhaus aufgenommen worden. Nachdem Therapiemaßnahmen eingeleitet worden waren, kam es während der Nacht zu Erbrechen; um 4 Uhr morgens löste sich die Infusionsnadel. Die Mutter rief sofort einen Pfleger herbei, der sich jedoch nicht dazu entschied, den diensthabenden Arzt zu rufen. Erst um 7 Uhr morgens kam der Arzt hinzu, der sofort mit der Notfallbehandlung begann. Der Verdacht der Hirnhautentzündung wurde im Labor bestätigt, das Kind, das am ganzen Körper blau-schwarze Gewebeschäden zeigte, wurde nach Oldenburg, später nach Hamburg verlegt. Die Folgen verhinderter Entzündung waren für das Kind enorm: beide Unterschenkel wurden amputiert. Zahlreiche Haut- und Muskeltransplantationen folgten. Zunächst hatte das Landgericht Aurich, jetzt das Oberlandesgericht, darüber zu befinden, ob dem Kind Schmerzensgeld in Höhe von 53 000 Euro und weiterer Schadensersatz zustünden. Die Eltern des Kindes hatten geltend gemacht, dass die Hirnhautentzündung grobfahrlässig zu spät erkannt worden sei. Schon früh morgens um 4 Uhr hätte man reagieren müssen. Mit dem Abwarten des Klägers läge ein grober Behandlungsfehler vor. Dieser Einschätzung folgten sowohl das Landgericht als auch nunmehr das Oberlandesgericht. Nach der Auswertung des Mobiltelefons der Mutter hatten diese in der Nacht Fotoaufnahmen von dem Kind gefertigt. Dies wurde als Beweis dafür gesehen, dass die offensichtlichen Veränderungen auch für den Pfleger in der Nacht hätten erkennbar sein müssen. Dass das Gericht dabei von einem groben Behandlungsfehler ausgeht, ist keine rein moralische Bewertung. Bei der rechtlichen Einordnung eines möglichen ärztlichen Kunstfehlers bedeute die Einstufung als grober Behandlungsfehler, dass es zu einer Beweislastumkehr kommt. Das hier in Anspruch genommene Krankenhaus steht dann in der Pflicht zu beweisen, dass die Schädigungen gerade nicht auf einem Fehlverhalten der Ärzte oder Pfleger beruhen. Das ist dem Krankenhaus jedoch nicht gelungen. Das Oberlandesgericht hat das erstinstanzliche Urteil bestätigt und das Verfahren an das Landgericht auch nicht zurückgegeben, damit von dort aus über die Höhe des Schmerzensgeldes und der Schadensersatzansprüche befunden werden kann (OLG Oldenburg, Urteil vom 28.10.2015, 5 U 156/13).