Gute Verteidigung – schlechte Verteidigung
Schon frühzeitig sollte ein Verteidigungsplan vorhanden sein – Verschiedene Vorgehensweisen
Gute Strafverteidigung zeichnet sich durch eine frühe und klare Zielsetzung sowie deren aktive Umsetzung aus. Schlechte Strafverteidigung bedeutet Planlosigkeit und passives Begleiten, erst recht in einer mündlichen Strafverhandlung beim Gericht. Beginn jeder Strafverteidigung durch den Verteidiger ist das möglichst frühe und vollständige Sammeln aller nötigen Informationen. Eine Einsichtnahme in die Ermittlungsakte und intensive Gespräche mit dem beschuldigten Mandanten sind das Minimum; gelegentlich gehören eigene Ermittlungen des Verteidigers dazu wie zum Beispiel Befragungen von potentiellen Zeugen. Hiernach ist mit dem Beschuldigten so früh wie möglich das Ziel der Verteidigung festzulegen, also entweder die Freispruchverteidigung oder aber das Ziel der Verfahrenseinstellung oder die Strafzumessungsverteidigung, also das Ziel, eine möglichst milde Strafe zu erhalten. Bei der Freispruchverteidigung wird in der Regel der Beschuldigte in einer späteren Hauptverhandlung beim Strafgericht von seinem Schweigerecht Gebrauch machen. Nach außen hin sind bis Beginn dieser Strafverhandlung meistens daher keine Verteidigeraktivitäten vorzunehmen. In der Hauptverhandlung ist das dann umso nötiger. Da die allermeisten Menschen, auch Strafrichter einer Hauptverhandlung, sehr früh dazu tendieren, sich in eine bestimmte Richtung eine Meinung zu bilden und Strafverhandlungen meistens mit den belastenden Beweismitteln beginnen, zum Beispiel den Hauptbelastungszeugen, ist für eine Verteidigung eminent wichtig, auf die Meinungsbildung von Strafrichtern möglichst früh Einfluss zu nehmen. Die Abgabe von Eingangsstatements, die intensive Befragung von Belastungszeugen, die Abgabe von Erklärungen nach stattgefundenen Beweisaufnahmen, das Stellen von Beweisanträgen mit dem Ziel einer Entlastung sind hierzu unter anderem geeignete Mittel. Das „Auf-sich-Zukommenlassen“ der Hauptverhandlung oder nach erfolgter Beweisaufnahme zu den belastenden Aspekten sogar gar keine Aktivitäten zu entfalten in Form des Einbringens entlastender Momente enden fast immer in einer Verurteilung des angeklagten Mandanten. Anders die Vorgehensweise der Strafzumessungsverteidigung: In aller Regel sind längst vor Beginn der Hauptverhandlung die das Strafmaß, also -höhe reduzierenden Aspekte vorzubringen. Dazu gehört nicht selten, sie faktisch erst einmal zu schaffen wie zum Beispiel: Schadenswiedergutmachung, Schmerzensgeldzahlung, Entschuldigungen, bei Verkehrs- oder (gerade gehäuften) Alkoholdelikten zum Beispiel Aufbaukurse in Verkehrsseminaren, Beginn von Therapien, die Erklärung der Tatmotive auf Seiten des Angeklagten, um sie in gewisser Weise nachvollziehbar zu machen, und nicht zuletzt die Konsolidierung der privaten und beruflichen Situation. All das ist möglichst vor der Hauptverhandlung dem Strafgericht schon mitzuteilen. Der Angeklagte sollte in der Regel, wenn er nämlich nicht völlig sprachungewandt ist, selbst Angaben in der Strafverhandlung machen, und zwar nicht nur ein Geständnis abgeben, sondern eben seine persönliche Situation, die ein günstiges Licht auf ihn wirft, darlegen. Wer als Rechtsanwalt hierzu erst in der Verhandlung anfängt und noch nicht einmal einen Angeklagten hierauf vorbereitet, selbst wenn der Angeklagte schon einschlägige Erfahrung mit der Strafjustiz hat, „verschenkt“ dazu Enormes. Angesichts dieser verschiedenen Vorgehensweisen bei den verschiedenen Zielsetzungen liegt es auf der Hand, dass ein Wechsel hiervon während laufender Hauptverhandlung – es sei denn die Freispruchverteidigung verläuft wider Erwarten katastrophal ohne geringste Erfolgschancen – sich verbietet. Eine Freispruchverteidigung macht sich unglaubwürdig, wenn zum Beispiel die soziale Situation des Angeklagten, die ein Motiv zum Zeitpunkt der Tat sein kann, auf einmal „hervorgeholt“ wird als eine Art Entschuldigung. Andersherum bei der Strafzumessungsverteidigung erscheint der Angeklagte nicht gerade in günstigem Licht, wenn er zunächst die angeklagte Tat leugnet und dann, wenn die Beweisaufnahme (schon von vornherein erkennbar!) zulasten des Angeklagten läuft, auf einmal ein eher nur rein prozesstaktisches Geständnis, das wenig bis gar keine Strafmaßreduzierung bringt, sich abringt. Schwierig ist es, als Verteidiger schon zu Beginn der Mandatsaufnahme eine Entscheidung zusammen mit dem Mandanten für die Freispruch- oder Strafzumessungsverteidigung zu treffen; eine sichere Prognose über den Ausgang eines Strafprozesses, jedenfalls wenn er komplex ist, ist fast nie zu stellen selbst für einen erfahrenen Strafverteidiger. Dennoch macht es immer Sinn, eine solche klare Vorgehensweise in genauer Erörterung mit dem Beschuldigten frühzeitig zu wählen. Unentschlossenheit und mangelndes Engagement bringen einem Angeklagten fast immer teils gravierende Nachteile.