Die Rechtsprechung zu § 175 StGB
„Das hemmungslose Sexualbedürfnis des homosexuellen Mannes“
Am 11. Mai dieses Jahres erklärte Justizminister Heiko Maas, dass die gegen homosexuelle Männer ergangenen Strafurteile aufzuheben und gegebenenfalls Entschädigungsansprüche zu schaffen sind. Der § 175 und die verschärfte Fassung § 175a StGB wurden im Jahre 1872 erlassen und im Dritten Reich erheblich ausgeweitet. Erst im Jahre 1969 wurde der Paragraf erstmals geändert. Eine zweite schwächere Version folgte 1973, und im Jahre 1994 wurde der Paragraf schließlich abgeschafft. Im Jahre 2002 beschloss der Bundestag – gegen die Stimmen der Union und der FDP – Urteile wegen Verstoßes gegen § 175 StGB, die im Dritten Reich gefällt wurden, aufzuheben, keineswegs aber Urteile aus den Jahren nach 1945. Die Vorschrift wurde in der Folgezeit sehr weit ausgelegt, so dass schon das bloße Zuschauen beim Geschlechtsverkehr zweier anderer Männer unter Strafe gestellt wurde. Zwar wurde 1969 die Strafbarkeit homosexuellen Verkehrs unter Erwachsenen bis auf einige Ausnahmen abgeschafft. Allerdings sollte weiterhin die „gesunde Entwicklung Minderjähriger“ (damals unter 21-Jährige) geschützt werden. Ganz offensichtlich ging der Gesetzgeber auch zu dieser Zeit noch davon aus, dass Homosexualität nicht eine angeborene Neigung, sondern eine erlernte Perversion sei. Im Übrigen galt der Paragraf nur für Männer, lesbische Frauen gingen straffrei aus; Zitat des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Mai 1957: „So gelingt der lesbisch veranlagten Frau das Durchhalten sexueller Abstinenz leichter, während der homosexuelle Mann dazu neigt, einem hemmungslosen Sexualbedürfnis zu verfallen.“ Diese spezielle Auffassung wird dann noch in blumigen Details ausgeschmückt. Zitat: „Männliche Homosexuelle streben häufig zu einer homosexuellen Gruppe, lehnen aber familienhafte Bindungen meist ab und neigen zu ständigem Partnerwechsel. Lesbische Verhältnisse hingegen tendieren allgemein zur Dauerhaftigkeit. Zieht man dazu die größere geschlechtliche Aggressivität des Mannes in Betracht, so macht es schon evident, dass die Gefahr der Verbreitung der Homosexualität beim Manne weit größer ist als bei der Frau.“ Auch im Jahre 1973 – also 16 Jahre später – zeigte sich das Bundesverfassungsgericht nicht gerade von seiner fortschrittlichen Seite. Zu diesem Zeitpunkt stellte die Strafvorschrift „nur noch“ homosexuelle Beziehungen von über 18-Jährigen mit unter 18-Jährigen unter Strafe. Auch damit hatte das Bundesverfassungsgericht kein Problem, weil „junge Männer durch die Avancen älterer Männer zur Homosexualität ,verführt’ werden könnten.“ Nicht abzusehen waren und sind die Folgen dieser Gesetzgebung für die Betroffenen. Unzählige Existenzen zu Unrecht Verurteilter wurden vernichtet.